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| FHM.MEINUNG

Wenn der Verlust des Smartphones körperliche Schmerzen bereitet / Prof. Dr. Gabriela Jaskulla zu Pathologischer Mediennutzung  

Laut einer DAK-Studie von Mitte März 2023 ist die Nutzung von Social-Media bei rund 170.000 Jungen und Mädchen (3,2 Prozent) in Deutschland krankhaft. Während der Corona-Krise stiegen die Social-Media-Zeiten werktags um 66 Prozent an – von 116 auf 193 Minuten pro Tag. Prof. Dr. Gabriela Jaskulla, Professorin für Medien und Wissenschaftliche Leiterin der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) Hannover berichtet dazu aus Ihren Erfahrungen in der Lehre.

Statement

Die Studentin ist in Tränen aufgelöst: Ihr Handy war weg. Allerdings ist es nach kurzer Zeit wiedergefunden worden. Warum also jetzt die Tränen? Der Grund ist überraschend: Den Verlust des Smartphones erleben viele junge Menschen tatsächlich als körperlichen Schmerz. Und dieser Schmerz ebbt eben nur langsam wieder ab, auch wenn das Mobiltelefon längst wieder an seinem Platz ist und die Nachrichten der letzten 15 Minuten in großer Hektik abgerufen worden sind. „Das Handy“, sagte die Studentin damals, „das Handy ist ein Teil von mir. Wie ein Körperteil.“

Diese Beobachtung wird durch Studien gestützt. Wer an übermäßigen Handykonsum von jungen Leuten denkt, dem fallen normalerweise vor allem Social-Media-Kanäle ein, wie Instagram und Tiktok – oder Nachrichtenkanäle wie Whatsapp. Tatsächlich gibt es aber weitere Apps, die die Abhängigkeit vom Handy verstärken – die Gesundheitsapps. Mithilfe von mehreren hundert Health-Apps lassen sich mittlerweile der eigene Blutdruck, die echte oder vermeintliche Fitness, der Kalorienverbrauch, die absolvierte Schrittzahl, ja sogar (ziemlich ungenau) die Schlafqualität überprüfen. Dann tritt der absurde Fall ein, dass man nachts aufwacht, weil man zum Handy greifen „muss“, um mit Hilfe von Sleep Cycles zu überprüfen, wie man gerade geschlafen hat: War man noch, heftig träumend, in der REM-Phase unterwegs, oder hat man gerade entspannt im Tiefschlag gelegen? Selbstoptimierer schlafen nie. Und wie fühlt man sich dabei? Das eigene Befinden gibt man – natürlich möglichst häufig – bei Moodscope ein. Die App errechnet dann eine grafisch hübsch gestaltete Befindlichkeitskurve.

Das Zusammenspiel von News, Social Media und Health Apps führt nicht nur zu einer quasi lückenlosen Überwachung der Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch dazu, dass die jungen Leute glauben, in praktisch keinem Bereich ihres Lebens mehr auf die „Unterstützung“ des Handys verzichten zu können. Die Grenze zwischen Handy und dem eigenen Körper verschwimmt. Mein Handy, das bin ich! Entsprechend panisch reagieren junge Leute auf Handyentzug. Spott ist da übrigens nicht die angemessene Reaktion.

Die Probe aufs Exempel machen kann ich als Professorin am Ende jeder Seminarsitzung. Dann greifen alle wie die Ertrinkenden zum Handy, um ihren Nachrichten- oder Bindungsdurst zu stillen. Das einzige Problem ist, dass sie im selben Moment einen herben Verlust erleiden: Nicht nur, dass die Swombies den echten Raum kaum noch wahrnehmen und auf die simple Frage „Scheint da draußen die Sonne?“ erst die Wetter-App konsultieren  – wissenschaftliche Studien der University of Texas haben schon vor sechs Jahren nachgewiesen,  dass Handytätigkeit im Anschluss an Unterricht  - oder generell an Informationsrezeption – dazu führt, dass das gerade Gelernte augenblicklich überschrieben, also vergessen wird. Das Gehirn des Offloaders, das ständig neue Informationen aufnehmen muss, lernt, dass das Gelernte nicht wichtig ist – es wird ja sowieso ständig erneuert. Also merkt es sich nur noch den Ort, an dem der Stoff gespeichert ist: Das Handy.

Prof. Dr. Gabriela Jaskulla,

Professorin für Medien und Wissenschaftliche Leiterin
der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) Hannover

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